Wirklich alle Eltern kennen das: Eben war der süße Fratz noch gut gelaunt und ein wahrer Sonnenschein, plötzlich liegt er auf dem Boden und brüllt, während seine kleinen Fäuste wutentbrannt durch die Luft fahren.
Passiert dies zum allerersten Mal, sind die Eltern entsetzt – was passiert hier gerade? Ist sie das etwa – die berühmte Trotzphase? Was ist das überhaupt und wie können sowohl Eltern als auch Kinder sie bestmöglich überstehen?
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Die kindliche Entwicklung in Kurzform
Kommt ein Baby zur Welt, lebt es erst einmal in absoluter Symbiose mit der Mutter. Das Neugeborene hat noch kein Gefühl für die Eigenständigkeit seines Körpers und glaubt, es und seine Mutter seien eine einzige Person. Absolute Bedürfnisbefriedigung an jedem Ort und zu jeder Zeit stehen in dieser Entwicklungsphase im Vordergrund.
Haben Sie keine Angst, Ihr Kind zu verwöhnen, denn dies ist in diesem Stadium nicht möglich. Zur Stressregulation brauchen Kinder in diesem Alter vor allem eins: Mama und Papa und ganz viel Körperkontakt. Das Zauberwort heißt Fremdregulation.
Mit etwa einem halben Jahr ist es Babys möglich, sich an Reize zu erinnern, die früher zu ihrer Beruhigung beigetragen haben. Das heißt, dass sie sich oft bereits beruhigen, noch bevor ein bestimmter Reiz ausgeführt wird. Tragen Sie Ihr Baby beispielsweise im Tragetuch, wenn es schreit, wird sich Ihr Baby höchstwahrscheinlich schon beruhigen, wenn Sie beginnen, es ins Tuch zu binden.
Die Trotzphase mit 1 – Erlernen des Primären Copings
Mit etwa einem Jahr ist es dann soweit: Es beginnt die Phase, die, was die Stressbewältigung angeht, für das Kind am intensivsten ist. Und mit ihr erscheint ein wichtiger Fachbegriff: das Coping. Coping bedeutet nichts anderes als Stressbewältigung. Bei dem Primären Coping muss das Kind jedoch zunächst einen ersten wichtigen Schritt vollziehen.
Es muss überhaupt erst erkennen, dass eine Situation es in Stress versetzt. Erst danach kann es lernen, damit umzugehen. Dazu muss es allerdings seine eigenen Bedürfnisse kennenlernen. Schaffen es die Kinder nicht, eine Situation als Stressor zu erkennen, beginnen sie zu schreien und zu wüten. Dies tun sie, um den Stress abzubauen, wenn keine andere Strategie, beispielsweise zu flüchten, funktioniert hat.
Nun ist es ganz wichtig, dass die Bezugspersonen auf einfühlsame Art reagieren. Neben festen Grenzen und Regeln sollten Sie Ihr Kind liebevoll begleiten. Versuchen Sie, Körperkontakt anzubieten. Wird er abgewehrt, bleiben Sie ruhig neben dem Kind sitzen und sprechen Sie mit leiser Stimme. Verwenden Sie dabei sehr kurze, prägnante Sätze.
Sorgen Sie außerdem dafür, dass sich Ihr Kind nicht verletzen kann. Manche Kinder in der Trotzphase neigen dazu, um sich zu schlagen oder ihren Kopf auf den Boden zu schlagen. Verhindern Sie dies auf sanfte Art. Versuchen Sie allerdings nicht, Ihr Kind in diesem Zustand zu erziehen, denn dies ist zum Scheitern verurteilt.
Befindet sich Ihr Kind mitten in einem Wutanfall, ist es kognitiv nicht in der Lage, Regeln oder längere Aussagesätze zu verstehen. Ein Kind in der Trotzphase mit 1 oder 2 Jahren wird sich dadurch nur noch mehr in seinen Wutanfall hineinsteigern. Dies liegt an der Gehirnstruktur im Kleinkindalter.
Das kindliche Gehirn während eines Trotzanfalls
Der Mensch verfügt über zwei Gehirnhälften. Bei Kleinkindern dominiert die rechte Gehirnhälfte, was bedeutet, dass bei Kindern Eigenschaften wie Kreativität, Intuition, Spontaneität und auch Impulsivität das Sagen haben. Erst später entwickelt sich die linke Gehirnhälfte, die für analytisches Denken verantwortlich ist.
Was geschieht nun bei einem Trotzanfall? Die rechte Gehirnhälfte übernimmt einfach die komplette Kontrolle. Logik dringt in diesem Zustand absolut nicht zu Ihrem Kind durch – und das Gleiche gilt für Regeln, Grenzen und lange Aussagesätze.
Es gibt aber gewisse Dinge, die auch während eines Wutanfalls durchdringen. Dazu zählen Mimik, Gestik und Tonfall. Sie können also Ihr Kind erreichen, wenn Sie Verständnis für seine Situation äußern und sich auf Augenhöhe mit ihm begeben. Hierzu gibt es einen wunderbaren pädagogischen Kniff: das Spiegeln.
Das Spiegeln in der Trotzphase
Das Spiegeln funktioniert natürlich nicht bei allen Kindern, aber bei sehr vielen. Wie bereits beschrieben, kann ein wütendes Kleinkind in der Trotzphase mit 2 keine langen Aussagesätze verstehen. Somit ist es ihm nicht möglich, sich in diesem emotionalen Ausnahmezustand an Regeln zu halten. Das Gleiche gilt überwiegend auch für ein Kleinkind mit 3 Jahren.
Erst im Alter von etwa 4 Jahren lernt ein Kind das Sekundäre Coping. Dann hat es gelernt, selbst mit Stresssituationen umzugehen. Doch was bedeutet es nun, sein Kind zu spiegeln?
Ihr Kind wütet. Es liegt auf dem Boden und lebt die Trotzphase voll aus, schreit sich schweißüberströmt immer mehr in Rage. Das Wichtigste in dieser Situation ist das Erkennen der Bedürfnisse des Kleinkindes. Warum wütet es? Ist es müde? Möchte es noch weiterspielen statt sich anzuziehen? Hat es Hunger? Gehen wir davon aus, es möchte sich nicht die Zähne putzen. Gehen Sie auf Augenhöhe.
Versuchen Sie, die Gefühle Ihres trotzenden Kindes zu äußern, und zwar in einer angemessenen Tonlage. Ist Ihr Kind wütend, legen Sie auch etwas Wut in Ihre Stimme. Benennen Sie dabei die Gefühle Ihres Kindes: „Du bist wütend! Nicht Zähne putzen! Nein!“ Allein dadurch, dass sich Ihr wütendes Kind verstanden fühlt, wird der Wutanfall bereits leicht abebben.
Führen Sie das Spiegeln fort, jedoch ohne zu übertreiben. Erst wenn sich Ihr Kind noch weiter beruhigt, können Sie es wieder mit etwas längeren Sätzen erreichen. Dann erklären Sie Ihrem Kind, weshalb es wichtig ist, sich die Zähne zu putzen.
Kompromisse helfen Kindern in der Trotzphase
Regeln und Grenzen sind wichtig, damit das Miteinander funktioniert. Auch Kinder dürfen das schon früh lernen. Dennoch sollten Sie sich kompromissbereit zeigen, statt an starren Grenzen festzuhalten. Ein Kind mit 2 oder 3 in der Trotzphase wird sehr viel selbstständig machen wollen.
Versuchen Sie, ihm so viel Freiraum zu geben wie möglich. Lassen Sie ihm Zeit, sich die Schuhe selbst anzuziehen, auch wenn es etwas länger dafür benötigt. Trägt es noch eine Windel und will sich nicht wickeln lassen, können Sie es dabei helfen lassen. Es darf Ihnen die Feuchttücher reichen und sich die Windel selbst aussuchen. Auch im Stehen zu wickeln, erleichtert manchmal das Leben.
Ein Kind mit 4 in der Trotzphase entdeckt immer mehr seine eigene Persönlichkeit, zugleich jedoch steckt es mitten in der magischen Phase. Das bedeutet, dass es einerseits immer selbstständiger wird, andererseits jedoch auch die Rückbindung zu seinen Bezugspersonen braucht. Die magische Phase ist eine Zeit, in der das Kind überall Monster, Feen und Einhörner sieht und fest daran glaubt.
Wundern Sie sich nicht, wenn Ihr tagsüber so selbstständiges Kind plötzlich abends weint oder immer wieder aus dem Bett aufsteht, weil es Angst hat. Dies ist ganz normal und sollte einfühlsam begleitet werden.
Auch ein Kind mit 5 Jahren braucht seine Bezugspersonen noch sehr stark, gerade weil die so spannende Vorschulzeit beginnt. Die Trotzphase ist nun offiziell zu Ende, dafür warten andere aufregende – und für die Bezugspersonen auch anstrengende – Zeiten.
Niemals aufgeben!
Kinder in der Trotzphase zu begleiten, ist anstrengend und zerrt an den Nerven. Wichtig sind nicht nur feste Regeln und Grenzen, sondern auch Einfühlsamkeit sowie eine große Portion Gelassenheit. Sollten Sie wirklich einmal an Ihre persönlichen Grenzen stoßen, wird Ihnen vor allem eins helfen:
Der Austausch mit anderen Eltern. Denn zu hören, dass es anderen Eltern ebenso geht wie Ihnen, kann Ihnen während der Trotzphase Ihres Kindes den Tag retten.